Veröffentlicht in FLAB 2019 Herbst
Flugscham und der Aufruf, aufs Fliegen zu verzichten, werden in den Medien zurzeit breit diskutiert. Die Flugbranche hält gerne fest, dass der Flugverkehr lediglich 2% der globalen CO2-Emissionen verursacht und daher für den Klimaschutz nicht zentral ist. Dieses Argument ist jedoch nicht haltbar, schaut man sich das exponentielle Wachstum, die weit über dem globalen Durchschnitt liegenden Schweizer Flugemissionen und die deutlich höhere gesamte Klimawirkung des Flugverkehrs an.
Zwischen 2000-2015 hat sich der globale Flugverkehr verdoppelt. Jedes Jahr fliegen fast vier Milliarden Passagiere und bis 2035 sollen es sieben Milliarden sein.[i] Für die Schweiz wird prognostiziert, dass sich die Flugemissionen bis 2030 nochmals verdoppeln werden.[ii] Mehr als 80% der Weltbevölkerung sind noch nie geflogen.[iii] Doch jede Schweizer*in macht pro Jahr 1.6 Flugreisen und fliegt dabei knapp 9000 Kilometer. Im Vergleich zu unseren Nachbarländern ist das doppelt so viel.[iv]
Klimaauswirkungen des Flugverkehrs
Bei einem Flug von Zürich nach New York (hin und zurück) werden pro Person ca. 400 Liter Kerosin verbraucht. Das entspricht ca. 1 Tonne CO2, denn pro Liter Kerosin werden 2.55 kg CO2 emittiert.[v] Da CO2 sehr lange in der Atmosphäre bleibt, akkumuliert es und trägt auch Jahrhunderte nach dem Ausstoss noch zur Erwärmung bei.[vi] Dabei breitet sich CO2 weltweit aus und beeinflusst das Klima unabhängig davon, auf welcher Höhe die Emissionen ausgestossen wurden.
Die CO2-Emissionen machen aber nur einen Teil der Klimawirkung des Flugverkehrs aus. Andere Faktoren sind indirekte Treibhausgasemissionen, der Ausstoss von Aerosolen und die Bildung von Kondensstreifen und Zirruswolken. Diese Effekte führen zu einer Zunahme der Energie in der Atmosphäre, die gemessen, bzw. modelliert werden kann.[vii] Wissenschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass die gesamte Klimawirkung des Flugverkehrs mindestens doppelt so hoch ist wie die CO2-Emissionen alleine. [viii]
Indirekte Treibhausgasemissionen
Flugzeuge stossen auch Stickoxide (NOx) aus. Diese beeinflussen den Methan- und Ozongehalt in der Atmosphäre. Methan ist ein starkes Treibhausgas, das gut 10 Jahre in der Atmosphäre verbleibt. Ozon ist ein kurzlebiges Treibhausgas, das 2-3 Wochen in der Atmosphäre bleibt. Die Ozonbildung verläuft ähnlich wie bei der Smogbildung durch den Strassenverkehr. Aber durch die erhöhte UV-Strahlung in grosser Höhe wird dort Ozon effektiver gebildet als am Boden.
Der Flugverkehr beeinflusst den Methan- und Ozongehalt folgenermassen: NOx-Emissionen führen zuerst über ein paar Wochen bis Monate zu einem Anstieg des Ozons (Erwärmung), gefolgt von einem Rückgang des Methans (Kühlung). Später sinkt der der Ozongehalt wieder (Kühlung). Die kühlenden Effekte dauern mehrere Jahrzehnte, sind jedoch weniger gross als die ursprüngliche Erwärmung. Stickoxide wirken sich also gesamthaft erwärmend aus. [ix]
Aerosole
Flugzeuge stossen auch Russ und Sulfate aus. Die dunklen Russpartikel absorbieren die Sonneneinstrahlung und haben daher eine wärmende Wirkung. Dieser Effekt ist besonders stark, wenn sich der Russ auf Schnee und Eis ablagert und so die helle Oberfläche verdunkelt. Sulfate führen zu einer direkten Kühlung, da sie das Sonnenlicht reflektieren. Andererseits kann Wasserdampf an Sulfaten kondensieren, was zu Kondensstreifen und Zirruswolken führt. Das wiederum wärmt das Klima, weil so zusätzlich Wärme gespeichert wird. Der direkte Klimaeffekt von Aerosolen ist kurz (Stunden bis Tage). Die Effekte der Sulfate auf Wolkenbildung werden nach wie vor nur unzureichend verstanden.
Kondensstreifen und Zirruswolken
Ob sich Kondensstreifen bilden, hängt von der Flughöhe sowie von der Temperatur und Luftfeuchtigkeit der Atmosphäre ab. Etwa 10-20% aller Flüge verursachen Kondensstreifen. Diese sind kurzlebig und haben eine wärmende Wirkung, weil sie Strahlung absorbieren.
Kondensstreifen können unter bestimmten Umständen auch zur Bildung von Zirruswolken führen. Diese absorbieren ebenfalls Sonnenstrahlung. Die indirekt verursachten Zirruswolken verstärken daher den Klimaeffekt des Fliegens nochmals deutlich. Neuere Forschung zeigt, dass der Einfluss von Kondensstreifen und Zirruswolken auf das Klima deutlich wächst und dass es immer noch schwierig ist, den Gesamteffekt gut zu modellieren.[x]
Gesamtwirkung mindestens doppelt so gross
Es ist nicht einfach, die verschiedenen Klimaeinflüsse miteinander zu vergleichen: Einige Einflüsse sind regional und wirken nur über ein paar Wochen, andere sind global und halten über Jahrzehnte an. Aber auch kurzlebige, regionale Effekte können einen grossen Einfluss haben, z.B. wenn sie in eine Region näher an einen Kipppunkt bringen, an dem dramatische Veränderungen unumkehrbar werden. Wie die Effekte gewichtet werden und welcher Zeithorizont verwendet wird, beeinflusst daher das das Resultat. Das erklärt die grosse Spannbreite, wenn es darum geht, die Gesamtklimawirkung des Flugverkehrs einzuschätzen.
Zusammenfassung der durch den Flugverkehr verursachten Klimaeinflüsse
Flugverkehr und Klimapolitik
Emissionen aus dem internationalen Flugverkehr sind weder in den nationalen Klimazielen noch im Pariser Abkommen eingeschlossen. Das ist im Vielfliegerland Schweiz besonders bedenklich. In der Schweiz getankte Flugtreibstoffe verursachen jährlich rund 5.5 Millionen Tonnen CO2, das entspricht etwa 12% der Schweizer Inlandemissionen. Rechnet man die zusätzlichen Klimaeinflüsse mit ein, verdoppelt sich der Klimaeffekt des Flugverkehrs und entspricht etwa einem Fünftel der Schweizer Inlandemissionen.[xi]
Privatreisen und Flüge innerhalb Europas machen dabei die grosse Mehrheit aus.[xii] Ein wesentlicher Teil der Flugreisen dient also dem Vergnügen. Ein Genuss, der den persönlichen Klima-Fussabdruck aufbläht. Dabei wäre es beim Reisen bedeutend einfacher, die Emissionen zu reduzieren, als bei anderen Aktivitäten, auf die man weniger Einfluss hat (z.B. der Ersatz einer Ölheizung in einer Mietwohnung). Doch freiwilliger Verzicht wird nicht genügen, um eine Kehrtwende zu machen.
Will die Schweiz ihren Klimafussabdruck auf netto-null senken, dann kommen wir nicht umhin, auch für den Flugverkehr griffige Reduktionsziele zu erlassen und dabei alle Klimaeffekte zu berücksichtigen. [xiii]
[ii] INFRAS 2016 Auswirkungen eines EHS-Linking für den Bereich Luftfahrt – Aktualisierung für die Schweiz
[iv] Mikrozensus Verkehr 2015 und Intraplan Monitoring der Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Luftverkehrs 2018 (s.14 + 18) [Die Schweizer Luftverkehrsmobilität] liegt (nach Abzug von Umsteigern und Incoming-Reisen) bei gut 1,6 Flugreisen pro Kopf (entspricht 3,3 Hin- und Rückflügen) und damit doppelt so hoch wie in Deutschland (ca. 0,8, ähnlich in Österreich) und deutlich höher als in fast allen der hier gezeigten Länder (UK 1,3, F und I ca. 0,6, USA ca. 1,3).
[v] Der Treibstoffverbrauch pro Passagier variiert durch Auslastung und Flugstreckenlänge. Der durchschnittliche Kerosinbedarf auf Kurzstrecken (< 800 km) liegt bei 4.2 bis 6.8 Litern pro 100 Personenkilometer, auf Mittelstrecken (800-3 000 km) bei 2.6 bis 4.2 Litern und auf Langstrecken (> 3 000 km) bei 2.9 bis 3.5 Litern pro 100 Personenkilometer, siehe https://www.bdl.aero/wp-content/uploads/2015/07/energieeffizienz_klimaschutz_2015_de.pdf
Ein Flug Zürich–New York–Zürich beträgt etwa 12 600 km, d. h. pro Person werden für diesen Flug 365-441 Liter Kerosin gebraucht. Das entspricht 0.90-1.1 Tonnen CO2. Kerosinemissionen: http://www.icbe.com/carbondatabase/volumeconverter.asp
[vi] Etwa die Hälfte unserer CO2 Emissionen wird in den ersten 30 Jahren von Ozeanen und Wäldern absorbiert, weitere 30% werden innerhalb weniger Jahrhunderte entfernt und die restlichen 20% bleiben typischerweise für tausende von Jahren in der Atmosphäre.
[vii] Integrated Radiative Forcing drückt die Energie aus, die dem System während eines gewählten Zeithorizonts zugeführt wird, d.h. auch die zukünftige Effekte des aktuellen Flugverkehrs werden miteinberechnet. Mehr dazu: http://co2offsetresearch.org/aviation/integratedRF.html
[viii] Lee, D. S. et al (2009). Aviation and global climate change in the 21st century. Cox und Althaus (2019) How to include non-CO2 climate change contributions of air travel at ETH Zurich. Kollmuss A, Myers Crimmins A. (2009). CO2 Carbon Offsetting & Air Travel Part 2: Non-CO2 Emissions Calculations.
[ix] Mehr Details: http://co2offsetresearch.org/aviation/IndirectEmissions.html
[x] Lisa Bock, Ulrike Burkhardt (2019). Contrail cirrus radiative forcing for future air traffic. Atmospheric Chemistry and Physics, und Tesche, M. et al. (2016) Aviation effects on already-existing cirrus clouds. Nat. Commun. 7:12016
[xi] Die Schweizer Inlandemissionen betragen zurzeit ca. 48 Mio. Tonnen CO2eq. Die Klimawirkung des Flugverkehrs ist mindestens doppels so gross, wiedie CO2-Emissionen alleine, d.h. bei 5.5 Mio. Tonnen CO2, entspricht die Klimawirkung mind. 11Mio. Tonnen CO2eq., das entspricht 22% der Inlandemissionen von 2017.
[xii] Schweizerische Zivilluftfahrtstatistik 2017
[xiii] 2016 wurde ein internationales Abkommen zum Flugverkehr (CORSIA) verabschiedet. Auch die Schweiz will mitmachen. CORSIA soll jedoch lediglich die Flugemissionen durch den Kauf von Zertifikaten auf dem Niveau von 2020 konstant halten (der Zuwachs soll kompensiert werden). Zudem bleibt die Teilnahme an CORSIA bis 2027 freiwillig. Im EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS) sind nur innereuropäische Flüge eingeschlossen.